4. Graffiti - Ausdrucksform bei Kinder und
Jugendlichen
Im folgenden Abschnitt wird versucht, die
Frage zu klären, was das Graffitimalen für Kinder und
Jugendliche bedeutet, und worin der Reiz besteht. Ist es eine anarchische
Praxis, die darin besteht, massenhaft illegale Sprühaktionen
durchzuführen, seinen Namen zu oft es geht zu sprühen,
und in der Stadt zu verteilen? Man spricht hier von bombing.
Stellt die Produktion von Graffitis eine Rückeroberung bzw.
eine Wiederaneignung von geographischen Räumen dar, die den
Kindern und Jugendlichen sonst durch eine für sie sinnungemäße
Funktion versperrt bleiben?
Warum nehmen es Kinder und Jugendliche auf sich , mit der Gefahr
zu leben, erwischt zu werden, und dafür gerichtlich mit hohen
Schadensersatzforderungen belangt werden zu können? Oder ist
das illegale, wie auch das legale Malen eine postmoderne Taktik,
um in der individualisierten Gesellschaft eine Identität zu
finden und einen Sinn- und Identität stiftenden Weg zu gehen?
Es kann aber auch als eine alternative Ausdrucks- und Darstellungsform
angesehen werden, die ein Gefühl der offenkundigen Abgrenzung
und des Protest gegenüber den Bezugspersonen von Eltern und
Gesellschaft ausdrückt.
Genauso gut können die tags aber auch als leere, sinnleere
Zeichen gesehen werden, die sich gerade dadurch nur von den Zeichen
und Codes der herrschenden Systeme unterscheiden. Sie stellen den
Zeichen neue Zeichen gegenüber.
4.1 Graffiti - Aufstand der Zeichen
Der französische Soziologe J.BAUDRILLARD
hat sich im Jahre 1978 in seinem Werk: „Kool Killer oder der
Aufstand der Zeichen“ unter anderem zu dem Phänomen Graffiti
in New York geäußert. Seine Überlegungen und Gedanken
dienen als Einstieg in die verschiedenen Deutungsansätze, die
in diesem Kapitel folgen werden. Baudrillards Ausführungen
können als Kontrovers und gegensätzlich zu aktuellen pädagogischen
und soziologischen Ausführungen gesehen werden, dennoch besitzen
auch diese teilweise noch eine Richtigkeit und werden deswegen hier
angeführt.
Seine Ausführungen zum Thema Graffiti bauen auf seine Theorien
der Veränderung der Stadt. Die Stadt ist nicht mehr das politisch-industrielle
Vieleck, nicht mehr die fordistische Stadt mit ihren Fabriken und
Arbeitervierteln am Stadtrand, sondern eine Erscheinung aus Zeichen,
Medien und Codes. Seine damaligen fast visionären Überlegungen,
gehen davon aus, dass die „historische Beziehung zwischen
der Stadt und der Warenproduktion bald zu Ende gehen wird, und damit
die Verteilung der Produktionsmittel nicht mehr Ausdruck der gesellschaftlichen
Herrschaft sein wird, sondern das Monopol über die Zeichen
und Codes“. Des Weiteren muss:„ der Unterschied zwischen
Sendern und Empfängern, zwischen Produzenten und Konsumenten
von Zeichen … total bleiben, denn in ihm liegt heute die wirkliche
Form der gesellschaftlichen Herrschaft.“ [50]
Darauf aufbauend entwickelte er seine Theorie zum Phänomen
der Graffiti-Produktion in New York. Grundsätzlich stellten
die tags der damaligen Zeit eine Art Angriff auf die gesellschaftlichen
Herrschaftsverhältnisse dar, da sie dem Monopol der Zeichen
ihre eigenen Zeichen entgegensetzen. Gleichzeitig kennzeichnet die
tags aber auch eine Bedeutungslosigkeit, da die Namen größtenteils
aus Comics übernommen wurden, SUPERBEE SPIX COLA 139 KOOL GUY
CROSS 136. Da sie nur eine Kopie sind, die in die Realität
geworfen wurden: „ widerstehen sie jeder Interpretation, jeder
Konnotation, und sie denotieren nicht und niemanden, weder Denotation
noch Konnotation, derart entgehen sie dem Prinzip der Bezeichnung
und brechen als leere Signifikanten ein in die Sphäre der erfüllten
Zeichen der Stadt, die sie durch ihre bloße Präsenz auflösen“ [51].
Damit brechen sie aber aus der Beziehung zwischen Sendern und Empfängern
heraus, denn sie vermitteln keine Botschaft.
Der vorherrschenden Meinung, dass Graffitis als ein Ausdruck von
Jugendlichen zu verstehen sind, und als eine Forderung nach Identität
und persönlicher Freiheit interpretiert werden können,
widerspricht BAUDRILLARD.
Diesem Ansatz muss widersprochen. Graffiti ist als ein Aufstand
der Zeichen zu verstehen, der jedoch nicht inhaltslos ist. Die jugendlichen
schwarzen Graffitimaler verteidigten nicht nur sich selber, sondern
präsentieren vielmehr eine große Gemeinschaft [52] , deren
bemalte Züge in die Stadtteile der reichen weißen Bevölkerung
fuhren.
Die Graffitis sind als eine Auflehnung gegen bürgerliche Identität
und Anonymität zu sehen, dadurch dass sie dem Monopol der Zeichen
ihre Zeichen entgegensetzen.
4.2 Problembeschreibung
Seit der Entstehung des Jugendgerichtsgesetzes
hält sich die bundesdeutsche Rechtssprechung daran, Jugendliche
strafrechtlich nicht mit Erwachsenen gleichzusetzen. Es steht den
Gerichten ein Regel- und Gesetzkatalog zur Verfügung, der die
jugendlichen Straftäter durch das Verfahren der Verurteilung
an sich nachhaltig beeindrucken soll.
Forschungen haben gezeigt, dass Konflikte strafrechtlicher Art
in der Adoleszenzphase auftreten können. Jeder Mensch begeht
im Jugendalter Straftaten. Dies bezeichnet man als ubiquitär.
Es gilt als bewiesen, dass dieses Verhalten nur vorübergehend
ist. Dies nennt man passager [53]. Jugendkriminalität kann
als eine temporäre, episodenhafte Erscheinung angesehen werden
und soll dementsprechend auch so geahndet werden.
Eine Sanktionierung auf jugenddelinquentes Verhalten, soll direkt
im Anschluss an die Tat verhandelt werden und so dem Jugendlichen
die Schwere der Tat vor Augen führen. Des weiteren haben die
Gerichte die Möglichkeit ein Verfahren einzustellen, wenn der
Angeklagte die Tat gesteht, Reue zeigt und sich eventuell schon
Gedanken gemacht hat, wie er die Straftat wieder gut machen könnte,
Gespräche mit dem Opfer werden positiv bewertet. Die zivilen
Ansprüche werden in einem weiteren Verfahren geklärt.
4.3 Straf- und zivilrechtliche Aspekte
Die aktuelle Rechtssprechung lautet folgendermaßen:
§ 303
Sachbeschädigung
(1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer
fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend
verändert.
(3) Der Versuch ist strafbar.
HINWEIS:
Die folgenden Straf- und Zivilrechtlichen
Aspekte entsprechen nicht mehr der aktuellen Gesetzgebung. Die Ausführungen
entsprechen dem Stand des Jahres 2004, d.h. dem damaligen Stand
bei der Erstellung der Diplomarbeit.
Dennoch sieht die Realität so aus,
dass Kinder und Jugendliche gefährdet sind, durch die straf-
und zivilrechtlichen Folgen ihres illegalen Sprühens von Graffiti
ins gesellschaftliche Abseits zu driften und mit erschwerten Vorraussetzungen
in ihre Zukunft zu starten. Die Spanne zwischen Tat und Verhandlung
in der bundesdeutschen Realität beträgt in der Regel ein
halbes bis ein ganzes Jahr. Diese Spanne scheint für Jugendliche
zu groß zu sein [54]. Die strafrechtlichen Bestimmungen für
Graffitistraftaten finden sich im Strafgesetzbuch. Die Paragraphen
für die Definition von Sachbeschädigungen sind der §
303 und der § 304.
Damit es zu einer Strafverfolgung nach § 303 StGB [55] kommt,
muss der Geschädigte im Vorfeld einen Strafantrag wegen Sachbeschädigung
stellen. Dieser Strafantrag kann gegen unbekannt, gegen einen polizeilich
ermittelten oder gefassten Täter gestellt werden. Des Weiteren
kann bei hohem öffentlichem Interesse auch ohne Strafantrag
ermittelt werden. Der § 304 StGB befasst sich mit diesem Thema,
nämlich der gemeinschädlichen Sachbeschädigung [56].
Im Bereich der Graffitithematik wird in Gerichtsverhandlungen oftmals
darüber gestritten, ob es wirklich Sachbeschädigung ist.
Unter Beschädigung versteht man den Fakt, dass die bestimmungsgemäße
Brauchbarkeit beeinträchtigt oder der Zustand einer Sache im
Hinblick auf die Gebrauchsfähigkeit eingeschränkt ist.
Ist ein Gegenstand unbrauchbar, z.B. ein Brückenfeiler, wenn
er voller Farbe ist? Wenn die Farbe so entfernt werden kann das
die Substanz in ihrer Bestimmungsmäßigen Brauchbarkeit
erhalten ist, spricht man dann noch immer von Sachbeschädigung?
Der Tatbestand der Sachbeschädigung ist dann auch nicht erfüllt,
wenn eine ordnungsgemäße Reparatur oder Reinigung des
Schadens erfolgt. Die Substanz eines Gegenstandes oder einer Sache
muss im Einzelnen beschrieben und der Erhaltungszustand ermittelt
werden. Wird jedoch eine Sache erst bei Ihrer Reinigung in ihrer
Substanz zerstört, dann greift der Sachbeschädigungsparagraph.
Die Deutsche Bahn beruft sich oft auf dieses Verfahren und führt
an, das durch die Reinigung des Zuges die Gummis in den Fenstern
und an den Türen angegriffen werden, also in ihrer ursprungsgemäßen
Bestimmung zerstört sind und es deshalb als Sachbeschädigung
verurteilt werden kann [57]. Die Bahn spricht aber auch schon von
Sachbeschädigung, wenn die Farbe des Graffiti die Kennzeichnungsnummer
des Waggons überdeckt und so eine Rangierung nicht mehr möglich
ist. Es stellt sich die Frage, ob man dort nicht auch relativ einfach
die Farbe entfernen und so den entstehenden Schaden reduzieren kann.
Das Thema der Verunstaltung wurde am 17.01. 2002 in einem Gesetzesentwurf
dem Bundesrat vorgelegt, um das Gesetz um das Merkmal der Verunstaltung
zu ergänzen [58].
Dem Wunsch nach einer Änderung des vorhandenen Gesetzes wurde
nicht nachkommen, da es genug Möglichkeiten für eine Gesetzsprechung
zulässt. Das Gesetz wurde ein wenig modifiziert. Die Bundesregierung
ist weiterhin der Meinung dass es primär darum gehen muss,
dem „ Graffiti-Unwesen“ präventiv entgegenzuwirken
[59].
Die zivilrechtlichen Ansprüche der Geschädigten finden
ihre gesetzliche Basis im § 823 [60] des Bürgerlichen
Gesetzbuch, kurz BGB. Zivilrechtlich können Kinder und Jugendliche
ab dem 7. Lebensjahr für begangene Strafen zur Verantwortung
gezogen werden, wenn sie bei der Begehung der Tat die notwendige
Einsicht besitzen. Des Weiteren hat der Geschädigte 3 Jahre
Zeit die Schadensersatzansprüche in Höhe der gerichtlich
festgelegten Schadenssumme gegen den Verursacher anzumelden. Sind
die Schadensersatzforderungen rechtskräftig festgestellt worden,
so muss der Beklagte damit rechnen dass er ab dem 18. Lebensjahr
für einen Zeitraum von 30 Jahren für die Summe belangt
werden kann
Es wird zusätzlich problematisch, wenn Jugendliche aktiv
in crews gemalt haben und ihnen dementsprechend viele Aktionen nachgewiesen
werden können. Da es sich um eine gemeinschaftliche Tat handelt,
hat der Geschädigte das Recht die gesamte Schadenssumme von
einem einzigen Täter einzufordern. Vorraussetzung dafür
ist, dass er volljährig ist. Verdient er Geld, kann dieses
eingeklagt werden. Die Verursacher haften immer gesamtschuldnerisch
Einem Grossteil der Sprayer sind die groben strafrechtlichen Auswirkungen
ihres Handelns bewusst, und sie wissen, dass eine Reaktion von Seiten
der Polizei und der Gerichte stattfinden wird [61]. Bei den jüngeren
und den Anfängern ist dieses zu bezweifeln.
4.4 Zur Motivation des Sprayens
Die Ausführungen zur Frage der Motivation
von Graffitimalern beziehen sich auf eine motivationspsychologische
Untersuchung die im Jahre 2003 unter anderem in der März Ausgabe
„Der Report Psychologie“ veröffentlicht wurde.
F. RHEINBERG und Y.MANIG untersuchten am Institut für Psychologie
der Universität Potsdam, n=294 (Personen) online oder auf Jams
und anderen HipHop-Veranstaltungen ausgefüllte Fragebögen.
90,5% der Befragten waren männlich und zwischen 13-34 Jahre
alt. n=43 malten nur legal, n=62 nur illegal und n= 189 taten beides.
Voranstellend soll erwähnt werden, dass die Untersuchungen
herausgefunden haben, dass die im Jugendalter vorherrschenden Anreize
und Gründe fürs Sprayen mit dem Alter für einen Großteil
der Befragten an Wertigkeit verlieren. Dies bezieht sich im speziellen
auf die Gruppe der illegalen Maler.
In der Untersuchung wurden nur Anreize erfasst, die der Person
bewusst sind, bzw. per Konfrontation bewusst werden können,
und die sie vor sich und anderen zugibt. Die verschiedenen Einzelanreize
wurden angegeben, und in einem nächsten Schritt ausgewertet.
Die Begriffe wurden danach in übergeordneten Faktoren zusammengefasst.
Man spricht von einer Faktorisierung der Anreize. Vorgegebene Einzelanreize
sind Spaß, Leistungsthematik, kontinuierliches Üben,
Glücksgefühl, Stolz über die eigene Leistung, Beherrschung
der Technik und des Styles. Die herausgearbeiteten Faktoren fallen
in den Bereich der Expertise bzw. der Kompetenzerweiterung. Des
Weiteren findet sich in den Ergebnissen eine soziale und basale
Kompetenznorm, das heißt einmal besser zu werden als die anderen
und besser zu werden als vorher. Die Graffiti Szene enthält
Elemente die auch in der Leistungsgesellschaft vorkommen, nämlich
Leistung und Ehrgeiz.
Es herrscht ein Ruhm und Performancedenken vor, in der Konkurrenz
und Prestige Denken eine Rolle spielen. Sprayen ist eine Aktivität
deren Anreiz im Vollzug der Aktivität liegt und bei vielen
Graffiti Malern herrscht der Wunsch nach Begutachtung und Kompetenzsteigerung
vor, des Weiteren ist eine ausgeprägte Leistungsthematik vorzufinden.
So wie dies ein Abziehbild der Gesellschaft ist, bildet auch die
Sprayer Szene einen Querschnitt durch die Gesellschaft. Neben dem
Bereich der Motivationsuntersuchungen wurde auch noch der Zustand
während des Malens untersucht.
Dieser Zustand wird unter dem Begriff des Flow- Erlebens zusammengefasst.
Es ist ein: „ Zustand des reflexionsfreien Aufgehens in einer
glatt laufenden Tätigkeit, die man trotz hoher Beanspruchung
noch unter Kontrolle hat“ [62]. Dieses Flow- Erleben findet
sich beim Sprayen im Positiven wie auch im Negativen Empfinden.
Das illegale Malen steht für Aufregung und Risiko, und hat
daher einen hohen Flow und gleichzeitig eine hohe Besorgnis. Dies
kann zu einem Unwohlsein und einer negativen Aktivierung von Gefühlen
führen. Beim legalen Malen entsteht ein hohes Flow -Erlebnis,
das sich aber in positiven Gefühlen äußert, da der
Sprayer es auskosten kann, sich für seine in Ruhe gemalten
Bilder bewundern zu lassen.Die zeigt sich nochmals in den Ausführungen
zur Motivation. Das Thema Grenzerfahrung ist beim legalen Malen
am Schwächsten, hingegen findet man diesen Punkt, sowie den
Aspekt der Kompetenzerweiterung und das Gruppengefühl auf den
ersten beiden Plätzen der Tabelle [63].
Wie bereits am Anfang erwähnt, nehmen die Anreize des illegalen
Malens bei einem Großteil der Sprayer mit dem Alter ab. Ruhm,
Performance, Sensation und Grenzerfahrung, sowie Gruppengefühl,
Expertise und Kompetenzerweiterung verlieren an Bedeutung.
Wieso es trotzdem noch Sprayer gibt, die trotz fortgeschrittenen
Alters weiterhin noch malen, ist in der Untersuchung nicht hinreichend
geklärt worden.
Gründe des Aufhörens liegen einmal in der Unmöglichkeit
seine Kompetenz noch weiter entwickeln zu können. Worin liegt
der Anreiz, wenn das tag in seiner Ästhetik schon perfekt ist
und nicht mehr weiterentwickelt werden kann.
Jugendliche mit einem hohen Bedürfnis nach Grenz Erfahrung
finden legales Malen eher defizitär. Die illegalen Maler weisen
typische Anreizkonstellationen von Risikosportlern auf, nämlich
im Bereich Leistungsthematik, Flow und Sensation mit dem Wunsch
nach kreativem Ausdruck, Gemeinschaftssinn, Lebenssinn und Lebensmittelpunkt.
Kompensiert sich in diesen Tätigkeiten etwa eine defizitäre
Erfahrung die im Jugendalter gemacht wurde?
Illegales Malen kann laut der Untersuchung nicht durch legales Malen
eingedämmt werden, es ist jedoch möglich von illegalem
auf legales Malen umzusteigen, da es ja auch legale Sprayer gibt
[64].
Nur n=10 der befragten Personen sieht einen tieferen Sinn seiner
Aktionen in der Freude an Aggression und Provokation. Bei den illegalen
Malern steht der Anreiz von anarchischen und revolutionären
Zielen nur im unteren Drittel der Anreizhierarchie, bei den gesamten
Personen im mittleren Bereich.
Dies kann nun der Sichtweise von Graffiti als purer und alleiniger
Wunsch nach Zerstörung und Vandalismus widersprechen.
Es ist möglich an den negativen wie positiven Anreizkonstellationen
anzusetzen und teilweise Anreize zu geben, die einen ähnlichen
emotionalen und vitalen Wert besitzen. Dies kann im kreativen Bereich
wie auch im Erfahren von körperlichen Grenzen im Sport –
und Feizeitpädagogischen Bereich geschehen.
Persönlich sehe ich aber auch eine eventuelle Möglichkeit,
einen Einstieg der Jugendlichen in den Bereich des illegalen Malens
zu reduzieren, und im Vorfeld die Attraktivität dieser Szene
zu mindern, indem alternative Tätigkeiten angeboten werden.
Die Überlegungen dazu finden ihre Ausführung im B-Teil
dieser Arbeit.
4.5 Alternative Ausdrucks – und Darstellungsform
Im 2. Kapitel dieser Arbeit wurde bereits
auf die Bedeutung von jugendkulturellen Erscheinungen in der Adoleszenzphase
hingewiesen. Die Graffiti Szene ist ein Beispiel dafür, wie
sich Jugendliche in der heutigen Gesellschaft selber organisieren
und dort ihre soziale und gesellschaftliche Rollenfindung erproben.
Dies passiert im Spannungsfeld zwischen eigenen persönlichen
Vorstellungen und der Realität, die diese Vorstellungen oftmals
in die Schranken weist. Dennoch suchen sich die 13-25 jährigen
das Malen als alternative Ausdrucks- und Darstellungsform aus. Ausgehend
von den Überlegungen zur lebenslangen Identitätsarbeit
eines jeden Menschen, übernimmt die Identität als Sprayer:
„ in einer Phase vielfältiger Umbrüche die aktuellen
Arten des Ausdruckes, Funktionen der psychischen Verarbeitung der
veränderten personalen wie sozialen Situation…“
[65] .
Der Jugendliche verschließt sich gegenüber den bisherigen
Bezugspersonen die er hatte. Neue Ansprechpartner in der Szene teilen
oftmals dasselbe Zeit- und Lebensgefühl miteinander und grenzen
sich durch Graffiti von ihren Eltern und Gesellschaft ab. Dadurch
drücken sie ihren Protest aus.
Die Funktion eines Graffitis scheint die visuelle Umsetzung dessen
zu sein. Es ist für den Sprayer selber, für die Szene
und für die Öffentlichkeit bestimmt. Das als Sprayer erprobte
Doppelleben zeigt sich im zur Schau stellen in der Öffentlichkeit
und auf der anderen Seite im strikten Geheimhalten der Identität,
um den Folgen und dem Aufsehen der oftmals illegalen Aktivität
zu entkommen. Hier zeigt sich das Prinzip des Zeigen und wieder
zurücknehmen, das des Sich- Öffnen und des Sich- Verbergen
[66]. Dies kann so verstanden werden, das der Jugendliche mit anderen
,auf dem Weg zur Schule an einem von ihm gemalten Bild vorbeigeht,
und dies doch nicht publik machen darf.
Des Weiteren sind HipHop und Graffiti keine Unterschichtphänomene
mehr, so wie es ursprünglich einmal war. Vielmehr werden Jugendliche
aus allen gesellschaftlichen Schichten miteinbezogen, und so werden
Multikulturalität und Internationalität betont. Die Kenntnisse
über die schwarzen, hispanischen etc. amerikanischen Wurzeln
dieser Kultur schaffen ein Bewusstsein darüber, dass sich im
Austausch mit anderen Menschen, Kulturen, Städten und Ländern
zeigt.
„ Die Graffitiszene ist Element derjenigen Jugendszenen,
deren grundlegende Werte - trotz vieler Ungereimtheiten und Brüche-
am ehesten denjenigen einer demokratischen Gesellschaft entsprechen
und die derzeit die bedeutendste kulturelle Alternative gegen rassistisch
und nationalistisch orientierte Jugendszenen darstellt“ [67].
4.6 Graffiti-Postmoderne Taktiken in der Stadt
Die HipHop-Kultur und insbesondere Graffiti
als wichtiger Teilbereich, sind Untersuchungsgegenstand der Überlegungen
von H.HOPPMANN zu den postmodernen Praktiken der Jugend, und der
damit von ihnen verbundenen Kunst des Handelns. Mit ästhetischen
Mitteln werden die öffentlichen Plätze in der Stadt zurückerobert.
Die Jugendlichen schaffen sich auf diese Weise einen Raum, Orientierung
und Zugehörigkeit [68].
HipHop wird als ein Ausdruck von Jugendlichen gesehen, die sich
mit ästhetisch-postmodernen Zeichen und Symbolen äußern.
Dies stellt eine kulturelle Leistung der Abgrenzung, der Differenzierung,
der Identifikation, aber auch des Widerstandes dar [69]. Mit ihren
Symbolen, Moden und Kommunikationsstilen unterscheiden sie sich
bewusst von ihren Eltern, aber auch von gleichaltrigen. Diese Identität
beinhaltet einen ganz klaren Ausschluss von nicht wissenden und
nicht verstehenden Personen, dem größten Teil der Gesellschaft,
gleichzeitig aber ein extremes und starkes Identifikationsgefühl
für- und untereinander.
In der Graffitiszene gibt es eine Sanktionsinstanz, das so genannte
crossen eines Tags oder Bildes. Das vorhandene Graffiti wird durch
den darüber gesprühten Begriff Toy entwertet, dies heißt
soviel wie Anfänger.
Der postmoderne Ausdruck der Menschen zeigt sich in den Bereichen
des ästhetischen Ausdrucks von Identität, Zugehörigkeit
und Macht. Die HipHop Bewegung beinhaltet diese Aspekte und kann
als eine Großstadtkultur des Widerstandes gegen die vorherrschende
gesellschaftliche Situation gesehen werden, da z.B. sich in den
Rap Texten immer wieder zeitgenössische, aktuelle und kritische
Bezüge finden. In den Graffiti Pieces finden sich auch vereinzelt
kritische, ironische und hinweisende Botschaften. Im Internet gibt
es ganze Seiten nur mit Bildern zum Thema Irak Krieg, Globalisierung,
Aids u.s.w.
Graffiti steht für einen Bereich, der sich mit ästhetischen
Mitteln die öffentlichen Plätze in der Stadt wieder in
den Besitz der Allgemeinheit zurückholt. Jugendliche erschaffen
so für sich Freiräume, die ihnen Orientierung und Zugehörigkeit
bieten. Mit ihren Bildern dringen sie zusätzlich auf fremdes
Territorium vor, sie dringen nämlich durch ihre ästhetische
Kommunikation in die Öffentlichkeit. Sie schaffen sich ihre
eigene Öffentlichkeit und kommunizieren abseits der gängigen
Kanäle wie Fernsehen, Zeitungen und Radio etc. mit den gewollten
Interessenten und dem nicht eingeweihtem Rest der Einwohner der
Großstädte [70]. Die Sprayer legen damit ihre Spuren
und setzen Zeichen in der Stadt. Dies widerlegt nochmals die These
der sinnleeren Zeichen nach J.BAUDRILLARD.
Die kommunikative Reaktion, die darauf folgt, kann auf der einen
Seite die Anerkennung der Szene oder die Bestrafungen und Repression
durch die Stadt sein. Die negative Reaktion seitens der Stadt kann
bei vielen Jugendlichen auch als eine Art Anerkennung und Bestätigung
rüberkommen. Dies äußert sich in Köln in vermehrten
Hass Parolen gegen die Kölner-Anti-Spray- Aktion.
Die tags, throw-ups und pieces sind nicht inhalts- und bedeutungslos.
Sonst würden Polizei und Spezialeinheiten sich nicht so intensiv
mit diesem Thema auseinander setzen. Sie stehen eher für eine
Austauschbarkeit, die sich in der Lebensdauer und Haltbarkeit widerspiegelt.
Die Stadt bietet immer wieder neue Maler, neue Crews die sich in
der Öffentlichkeit bemerkbar machen wollen. Gerade dieser Prozess
ist als eine typische Alltagstaktik zu sehen, denn: „ sie
produzieren ohne anzuhäufen, ohne Zeit zu beherrschen“
[71].
Graffitis im öffentlichen Raum regen bewusst und unbewusst
die Diskussionen über den Stadtraum an. Verschiedenartigste
Gruppierungen kommen darüber ins Gespräch und überlegen
was öffentlicher Raum überhaupt noch bedeutet und wem
er gehört, bzw. wer den Raum seinen Wünschen gestaltet
und bestimmt. Darunter fallen Standortdiskussionen, Zukunfts- und
Wirtschaftsinteressen der Städte und Kommunen.
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weiter... ]
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