2. Kulturgeschichtliche Entwicklung der Graffiti
Bevor ich diese theoretischen Überlegungen
am Beispiel der Graffitiszene vertiefen werde, muß noch eine
kurze Beschreibung der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Graffiti
vorangestellt werden. Die Graffiti waren schon immer eine Ausdrucksform
in der Entwicklung der Menschen.
Kulturgeschichtlich gesehen findet man die ersten Graffitis schon
in den altsteinzeitlichen Höhlen. Sie geben einen Rückschluss
auf die Anfänge der Menschheit und zeigen Darstellungen mit
verschiedenem Inhalt und Stilen, die von der schriftlosen Kultur
unserer Vorfahren zeugen. Dabei handelt es sich meistens um Felsbilder
die an den Wänden in Höhlen, Nischen oder ganz im Freien
angebracht wurden. Der Ort der Bilder spiegelt demnach den Entwicklungsstand
der Menschen dar.
Parallelen zu den Graffitis der heutigen Zeit zeigt der Vergleich
mit einer Großstadt aus einer anderen Epoche, die Stadt Pompeji,
die im Jahre 79 nach Christus das Opfer eines ausbrechenden Vulkans
wurde. Dort gab es Graffiti, Wandsprüche, Äußerungen
von Privatmenschen, Kontaktaufnahmen und Kritik am Staat. Eine Subkultur
des Alltags in Wort und Bild jenseits der großen Kunst und
jenseits jeder Amtlichkeit [31].
Dazu passt folgende Definition aus dem Brockhaus des Jahres 1954:
„ (ital.), in die Mauer eingekratzte Inschrift, zuweilen sprachgeschichtlich
wertvoll[Pompeji]…“ Das Fremdwörterlexikon aus
den 80er Jahren spricht nur von: „ (it.), obszöne Wandzeichnungen,
hingegen das Fremdwörterlexikon aus dem Jahre 2003 definiert
es folgendermaßen: „ Graffito der, das (italien.;-s/
Graffiti: Wandeinritzungen[Inschriften, Dekoration] und mit Farbe
gesprayte Parole oder Bild, meist auf Wände“ [32].
Die Unterschiedlichkeit der Definitionen resultiert aus der wechselhaften
Geschichte des Begriffes Graffiti. Das aus dem Griechischen stammende
Wort bezeichnet in der italienischen Sprache als „ Sgraffito“,
eine Form der Fassadengestaltung. Diese Form war besonders in der
der Architektur der italienischen Renaissance beliebt, dem so genannten
Kratzputz. Die Künstler der damaligen Zeit haben verschiedenfarbige
Putzschichten übereinander aufgetragen, und durch partielles
Abkratzen der noch frischen Schichten kamen die darunter liegenden
Schichten zum Vorschein. So entstanden Muster, Schriften und Bilder.
Die Schreibweisen sind unterschiedlich, Sgraffito, Sgraffiato, graffiato,
graffito[Einzahl] und graffiti[ Mehrzahl]. Wörtlich bedeutet
es also gekratzt.
Der nächste Schritt war eine intensive Auseinandersetzung
der Archäologen des 19. Jahrhunderts mit den eingeritzten Sprüchen
der alten Kulturen, nämlich mit den illegal angebrachten. Es
bildete sich der Begriff „ Graffito“, der inoffizielle
Ritzzeichnungen von der offiziell und legal verwendeten Putztechnik
„ Sgraffito“ unterscheiden sollte [33].
Der Begriff „Graffiti“, ist ein Produkt der Geschichte
der letzten 30 Jahre. Im Jahre 1967 bringt der Amerikanische Forscher
Robert Reisner ein Buch mit folgendem Titel auf den Markt: „
Graffiti- Selected Scrawls from Bathroom Balls“. Das Wort
fand nun seinen Weg aus dem italienischen in das Amerikanische.
Der Readers Digest nahm das Wort daraufhin in seine Monatsliste
neuer Worte auf [34]. Der Begriff in dieser Form steht nun als ein
Oberbegriff für alles illegal sowie legal angebrachtes im Bereich
der Sprüche und Bilder auf Wänden, Mauern, Freiflächen
und Leinwänden.
Die so genannten American Graffitis bzw. New York Graffiti, um
die es in dieser Arbeit geht, fanden ihre weltweite Verbreitung,
insbesondere in Europa durch Filme wie z.B. Style Wars oder Beatstreet.
Filme, in denen auch Szeneaktivisten als Laiendarsteller mitspielten
und nun auch auf diesem Weg ihre neue Kultur in Europa verbreiteten.
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