A-Teil
1. Grundlagen
Die folgenden Kapitel des A-Teils beschäftigten
sich dem Phänomen Graffiti als jugendkultureller Erscheinung,
sowie den Bedeutungen und Erläuterungen zur Identitätsbildung
für Jugendliche in der Adoleszenzphase. Die konkrete Umsetzung
findet in den Peergroups statt. Die Erscheinungsform der Jugendkultur
Graffiti lässt sich in den Oberbegriff der Szenen einbinden.
Kultur kann als ein dynamischer Kontext angesehen werden, indem
die Menschen ihre Deutungsmuster, ihre Identität, ihre Werte
und ihr Verhalten erwerben und ausdrücken [3].
Zum besseren Verständnis der Graffiti- Szene ist es erforderlich,
die Begriffe Jugend, Sub– und Jugendkultur zu beschreiben,
damit ein Bezug hergestellt werden kann.
1.1 Definition von Subkultur
Der Begriff der Subkulturen wird in diesem
Kapitel erläutert, da er zum besseren Verständnis der
historischen Entstehung von American Graffiti beiträgt. Im
weiteren Verlauf der Arbeit, beziehe ich mich jedoch auf den aktuelleren
und adäquateren Begriff der Jugendkultur.
Die Subkulturen haben im Laufe der Zeit durch die Veränderung
der Gesellschaft einen Bedeutungswandel erfahren. In seinem lateinischen
Ursprung steht „sub“ für unter und Subkultur somit
für eine Teilkultur. Unter Teilkulturen verstehen wir relativ
kohärente kulturelle Systeme, die innerhalb des Gesamtsystems
unserer nationalen Kultur eine Welt für sich darstellen [4].
Zusammenfassend bedeutet dies: „Eine Subkultur als zusammenhängendes
System mit von der Gesamtgesellschaft abweichenden Normen, Werten,
Symbolen und Verhaltensmustern ist ein Interaktionssystem, dessen
Mitglieder sich in einem gewissen Grad von den übrigen Mitgliedern
der umgebenden Gesellschaft unterscheiden“ [5].
In dem Drang nach persönlichen Netzwerken und dem Drang nach
Selbstbehauptung besitzt der Jugendliche bereits Ansprüche
auf eine Gruppe.
Subkulturen bedeuten für Jugendliche einen stabilen Raum für
das Ausprobieren von verschiedenen Identitäten. Dabei werden
innerhalb gemeinsamer Handlungen und Wertinhalte real existierende
Bedürfnisse und Probleme der Jugendlichen aufgefangen. Die
Zugehörigkeit einer Subkultur bedeutet in erster Linie eine
Abgrenzung zu vorherrschenden Werten und Normen der Erwachsenenwelt.
1.2 Bedeutung und Wandel der Jugendkulturen
D. BAACKE plädiert für einen Wandel
und für eine Notwendigkeit des Begriffswechsels. Wie im Kapitel
Subkulturen bereits erwähnt, leitet sich das Wort vom lateinischen
„sub“, also unter ab. Dieses würde bedeuten dass
es sich um kulturelle Erscheinungen handelt, die unterhalb der allgemein
akzeptierten Kultur liegen. Das heißt dass eine Gesellschaft
vorherrscht, die in mehrere Schichten unterteilt ist und das man
dort die jugendkulturellen Gruppierungen ganz konkret finden könnte.
Dies ist nicht der Fall, da die einzelnen jugendkulturellen Erscheinungen
sich nicht mehr eindeutig definieren und lokalisieren lassen. Sie
haben sich multipliziert, ausdifferenziert und doch wieder verändert
und tauchen in unterschiedlichster Form auf der ganzen Welt auf [6].
Die so genannte HipHop-Kultur, zu dem auch der Part des Graffiti
gehört, ist weltweit vorhanden, drückt sich aber in ihrer
Interpretation und Auslebung in jedem Land anders aus, da es überall
unterschiedliche kulturelle und gesellschaftliche Vorraussetzungen
gibt.
Die Literatur definiert das Phänomen Jugendkulturen auch
als „Teilkultur der Gesellschaft, wenn die Gemeinsamkeiten
hinsichtlich der Weltanschauung, der Aktivitäten, der Kleidung,
der symbolischen Handlungen, der Sprache und anderer Elemente eines
Lebensgefühls zu einem Zugehörigkeitsgefühl führen,
welches nicht ortsgebunden ist.“ [7]
In den 50er Jahren umfasste der Begriff Jugendkultur nur eine
einzige Kultur aller Jugendlichen gegen eine vorherrschende Gesamtkultur.
Dies ist jedoch nicht mehr aktuell, denn die Zahl und Vielfalt der
Kulturen hat sich vervielfacht. Die Literatur begründet dies
mit dem Prozess der Individualisierung der Gesellschaft. „Soziale
Milieus und andere einstmals verbindliche Grenzen zwischen Klassen
und unterschiedlichen Nationalitäten , Religionen und Regionen
erodierten zusehends, traditionelle Familienstrukturen verloren
ihre Monopolstellung zugunsten von Wohngemeinschaften, Single- und
Alleinerziehenden-Haushalten; informelle Gleichaltrigen Cliquen,
die neuen faszinierenden Welten der Computer-Kulturen und weitere
attraktive Konsum- und Identifikationsangebote des kommerziellen
Freizeitmarktes verdrängten die Partizipationsangebote der
konventionellen Erwachsenenstrukturen( Parteien, Kirchen, Jugendverbände
etc.) von der Agenda des jugendlichen Lebensalltags“ [8].
1.2.1 Jugend und gesellschaftlicher Wandel
Die Jugendkulturen dienen als Ausgleich
zum Alltag. Oftmals nehmen sie den Charakter von Vergnügungskulturen
an, als Beispiel können die Extremsportarten genannt werden.
Es wird den jugendkulturellen Strömungen nachgesagt, dass sie
ihren politischen Inhalt und den Wunsch und Drang nach Veränderung
der Gesellschaft verloren haben.
Der Wandel der heutigen Gesellschaft wird mit dem Wort „Individualisierung“
gleichgesetzt. Ulrich BECK beschreibt diese Entwicklung und sagt
dies muss:„ …als Anfang eines neuen Modus der Vergesellschaftung
gedacht werden, als eine Art Gestaltwandel oder kategorialer Wandel
im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft“ [9] .Darunter
fallen die Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen
und der Verlust von traditionellen Sicherheiten, sowie der Bereich
der Erwerbstätigkeit.
Der Jugendliche muss sich definieren und sich seiner Selbst vergewissern.
Barbara STAUBER beschreibt dies als eine Notwendigkeit, da die Übergänge
von der Jugend zu einem immer schwieriger werdenden Erwachsensein
hohe Anforderungen an die Individuen stellen [10].
Auf seinem Weg durch die Adoleszenz erlebt sich der Jugendliche
in einem Spannungsfeld zwischen Zugehörigkeit zu Jugendkulturen
und einer Einzigartigkeit seiner selbst, sowie einer Unterscheidung
zu den anderen existierenden Jugendkulturen.
Dieser Prozess vollzieht sich zwischen:„… aufeinander
verweisende(n) und zusammengehörige Pole(n) “ [11] und
wird in der Literatur mit balancierender Identitätsarbeit umschrieben.
Es geht nicht mehr nur darum, Teil einer Jugendkultur zu sein,
sondern vielmehr darum, jugendkulturelle Symbole zu einem Lebensstil
zu kombinieren. Der Begriff Lebensstil bekommt seine Wertigkeit
dadurch, dass die jugendkulturellen Erscheinungen mehr temporären
Modeerscheinungen gleichen. Der Jugendliche braucht laut Barbara
STAUBER keine jugendkulturelle Eindeutigkeit mehr [12].
Die Jugendlichen haben sich durch diese Art der Umgehensweise
mit Jugendkulturen dem gesellschaftlichen Wandel angepasst und können
so mit der gesellschaftlichen Realität zurechtkommen. Dieser
gesellschaftliche Wandel zeigt sich in unterschiedlichen Ausprägungen.
Jugendliche stehen jedoch primär einer ungewissen und unsicheren
Zukunft gegenüber, das überlieferte Erwerbsleben der Eltern
ist so nicht mehr gegeben, die Strukturen der Familie verändern
sich. Auf der anderen Seite wird zusätzlich noch von allen
Seiten von der nachwachsenden Generation verlangt, mit diesen Faktoren
umgehen zu können und einen sicheren individuellen Lebensweg
zu gehen. Unter diesen Bedingungen wachsen die Jugendlichen heutzutage
auf.
Es geht dabei nicht mehr nur um Flexibilität, sondern darum
dass:„… angesichts postmoderner Bedingungen des Aufwachsens
gerade diese Flexibilität sozialen Halt, Zugehörigkeit
und Vergewisserung verspricht “ [13].Selbstinszenierungen in
Jugendkulturellen versprechen halt, je mehr traditionelle Formen
bröckeln.
Der Jugendliche beweißt dadurch seine Fähigkeiten autonom
zurechtzukommen und zu handeln. Es geht einmal um die körperliche
Darstellung, die so genannte Selbstinszenierung, und auf der anderen
Seite um die Aneignung von Räumen. Der öffentliche Raum
wird auf die eigenen Bedürfnisse hin bearbeitet und in Besitz
genommen.
1.3 Peergroup
Den Peergroups fällt eine große
Bedeutung zu, da sie die Entwicklung des Jugendlichen mitbestimmten
und verantwortlich für seine Sozialisation sind. Sie existieren
neben Familie, Schule und Ausbildungsplatz und sind ein Zusammenschluss
von Freunden gleichen Alters, ähnlichem Status und vergleichbarer
Interessen.
Mit der einsetzenden Pubertät taucht die besondere Neigung
auf, die Nähe zu Gleichaltrigen zu suchen. Mit diesen teilen
sie bewusst, aber auch größtenteils unbewusst die Wünsche
nach Liebe, Sexualität, Anerkennung und Selbständigkeit.
Diese gemeinsame Situation und die damit verbundenen Ängste,
schweißt sie zusammen. Sie identifizieren sich darüber.
Die Peergroup bietet den Jugendlichen eine gemeinsame emotionale
Basis, die es ihnen erlaubt, sich selbst in neuen Rollen zu erproben
und mit den gesellschaftlichen Herausforderungen zu experimentieren [14].
Die eigene Geschlechts- und Rollenfindung findet parallel in gleichgeschlechtlichen
Gruppierungen statt .Die Vermischung der Geschlechter in den Gruppen
findet erst später statt.
Peergroups basieren auf freiwilliger Basis und gewinnen so natürlich
an Reiz. Dort bekommen sie Zustimmung und Anerkennung von Gleichaltrigen
und haben Raum zum Experimentieren mit kulturellen Werten und Normen [15].
Peergroups können die berufliche Identität mitprägen
und moralische sowie normative Maßstäbe setzen [16]. Andererseits
herrscht auch die Meinung, dass die Peergroups eine schlechte Vorbereitung
auf das Leben darstellen und ein Sozialverhalten einüben, dass
die Jugendlichen nicht auf die Erwachsenenrolle vorbereitet. Solche
Beispiele sind die Tendenzen in den rechtsextremistischen Jugendkulturen,
und allgemein Jugendkulturen, inderen Varianten sich die Peergroups
auf illegalem und kriminellem Gebiet bewegen.
Wenn man von der Pluralisierung der Gesellschaft spricht und sich
den jetzigen Zustand betrachtet, muss man sich bewusst machen, dass
der jugendliche Ausdruck sich neue Wege und Formen gesucht und somit
auch die Gesellschaft verändert hat. Gesellschaftlicher Wandel,
jugendliche Identitäts- und Ausdruckssuche bedingen sich gegenseitig
und haben zum Teil neue Ordnungen geschaffen, die Toleranz gegenüber
spezifischen Sach- und Themengebieten verändert und z.B. die
Kleidungsideale auf den Kopf gestellt haben. Ein gutes Beispiel
sind die weiten Hosen der Hip Hopper, die sogenannten baggys. Die
Gefangen in den US– Amerikanischen Gefängnissen bekamen
die Gürtel ihrer Hosen abgenommen, um sie vor der Selbststrangulierung
zu schützen. Die Hosen hingen den Gefangenen deswegen so tief
herunter. Dies wurde von den Jugendlichen in Amerika übernommen,
um ein Zeichen der Solidarität für ihre inhaftierten Freunde
zusetzen. In Europa wurde dies einfach als modisches Accessoire
übernommen und der geschichtliche Hintergrund ist nur den wenigsten
bekannt.
1.4 Szenen
Die autonomen Handlungsfähigkeiten
der Jugendlichen drücken sich im switchen der verschiedenen
szenekulturellen Erscheinungen aus, also durch, zwischen letztgenannten
Phänomenen hin- und herzuspringen. Die konkrete Umsetzung und
Erfahrung findet jedoch in den spezifischen Szenen mit ihren jeweiligen
Codes statt.
Die adäquate Umsetzung der gesellschaftlichen Entwicklung
spielt sich bei einem Großteil der Jugendlichen in den Szenen
ab und ist in der neueren Literatur als ein: „ …loses
Netzwerk von Menschen mit ähnlichen Orientierungen und / oder
Interessenlagen, vor allem zur Freizeitgestaltung“ , zu sehen [17].
Man spricht von Gesinnungsgemeinschaften, die: „… bestimmte
Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und diese Gemeinsamkeiten
stabilisieren, modifizieren oder transformieren [18]. Szenen stellen
für die Jugendlichen einen Ort der Kommunikation und Interaktion
dar. Des Weiteren übernehmen sie die klassischen Funktionen
der jugendspezifischen Identitätsbildung, soziale Stütze
bei ambivalenten emotionalen Ereignissen, dem Ausprobieren von Erwachsenrollen,
sowie der Ablösung vom Elternhaus.
Der Altersdurchschnitt muss höher angesetzt werden, da die
Teilnehmer im klassischen Sinne keine Jugendlichen mehr sind, aber
dieses Selbstbild und Selbstverständnis von sich haben. Die
Szenen scheinen wohl die logische Weiterentwicklung der Jugendkulturen
und der Peergroups zu sein, freiwillige Gemeinschaften oftmals gleichaltriger,
die diese Form der individualisierten Gemeinschaftsbildung wählen.
Szenen können einen überregionalen, sogar weltweiten Charakter
haben, der sich in einem lokalen Geschehen widerspiegelt.
Die Auflösung der klassischen Peergroups findet sich z.B. in
den Computer- und Internetkulturen wieder. Virtuelle Gemeinschaften
gewinnen ihre Berechtigung vor allem dadurch, dass sie soziale Netzwerkfunktionen
für die Teilnehmer übernehmen können. Die Jugendlichen
identifizieren sich in und mit diesen Gemeinschaften.
Dieses Phänomen zeigt dass die Szene auch als ein soziales
Netzwerk zu verstehen ist. Das Szeneengagement kann von kurzer Dauer
sein. Es gibt keine verbindlichen Aufnahmerituale oder dergleichen.
Im Allgemeinen wird dort alles eher locker gesehen, es gibt keine
szeneeigenen Sanktionsinstanzen für den Ein- und Austritt [19].
Szenegänger und Aktivisten berufen sich nicht auf Standes und
Lebenslagen, genauso wenig spielen Beruf, Bildung und Herkunft eine
Rolle, da sich das Verbindliche der Szenen im Glauben an eine gemeinsame
Idee und dem Ein- und Austrittskriterium widerspiegelt.
Szenen brauchen Treffpunkte. Sie nehmen einen hohen Stellenwert
ein, da das vordergründige Merkmal von Szenen in der Labilität
und Flexibilität liegt. Szenegänger sind mobil und flexibel,
bekannte Plätze können an Attraktivität verlieren.
Dann wird sich schnell eine neue Stelle gesucht, die den Ansprüchen
genügt und die spezifischen Szenevorrausetzungen erfüllt.
Diese Treffpunkte sind wichtig für die Entwicklung des Wir
Gefühls und des präsentieren der Szene nach außen
hin [20]. Szenen wirken nicht allein nur durch die Sympathisanten
und Aktivisten, sondern müssen auch von Außenstehenden
wahrgenommen werden.
In der Graffitiszene werden diese Treffpunkte als Writers Corner
oder auch nur als Corner bezeichnet. Man hat sieht auch hier, dass
es sogar für eine Szene die sich größtenteils auf
illegalem Terrain bewegt, von Wichtigkeit ist, einen Treffpunkt
zu haben, an dem man Leute treffen kann, an dem man Verabredungen
zu nächtlichen Sprühaktionen plant, oder an denen man
die Werke der anderen bespricht. Die Aktualität und Qualität
der Bilder, sowie die Entwicklung der Szene kann Thema von Gesprächen
sein. Die Orte können variieren, befinden sich aber größtenteils
im öffentlichen Raum, z.B. vor szenetypischen oder Kneipen
in denen HIPHOP MUSIK gespielt wird, an U-Bahnstationen oder Orten,
an denen man einen guten Blick auf vorbeifahrende Züge hat.
Heutzutage weichen die Sprayer oftmals auch in Graffiti Fachgeschäfte,
so genannte Graffiti Stores aus, die oftmals von ehemals Aktiven
geführt werden, und einen kommerziellen Charakter besitzen.
1.5 Jugend und Adoleszenz
Jugend ist keineswegs Jugend, zu diesem Schluss
kommt Herbert GUDJONS. Er versteht unter dem Begriff Jugend eine
bestimmte Altersphase, die nicht klar abgegrenzt werden kann, (in
der Regel von 13 bis über 20 Jahre). Er versteht darunter aber
auch genauso eine gesellschaftliche Gruppe, die heutige Jugend [21].
Als Beispiel fügt er an, das z.B. ein 22-jähriger Klempnergeselle
mit einem Kind kaum noch Jugendlicher, ein 22-jähriger Student
in einer WG schon eher, ein zweimal sitzen gebliebener Abiturient
mit Sicherheit.
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Jugend den Übergang
vom Kindes- in das Erwachsenenalter kennzeichnet. Dieser Übergang
besteht aus zwei Phasen: - der Pubertät und dem Erwachsenenalter
und vollzieht sich bei dem Jugendlichen in verschiedenen Bereichen.
Den Anfang macht der physische Bereich, welcher sich durch einen
enormen Wachstumsschub, Proportionsveränderungen und auch der
Geschlechtsbildung äußert.
Der kognitive Bereich steht für die Entwicklungen des Jugendlichen,
die die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse in der Denkprozessentwicklung
beinhalten.
Der psychische Bereich umfasst die Aspekte der eigenen Selbstbestimmung,
die Schulung von Wahrnehmungen und Einschätzungen. Es entwickelt
die Einmaligkeit des Jugendlichen in seinem Denken, Fühlen
und Handeln.
Abschließend wird im sozialen Bereich unter anderem die Auseinandersetzung
des Jugendlichen mit vorhandenen eigenen Normen und Werten betrieben.
Dies wird bedingt durch den Ablösungsprozess vom Elternhaus,
die Entwicklung der eigenen Lebensbiographie und den Umgang mit
den verschiedenen Rollenerwartungen.
Mit dem Begriff Adoleszenz bezeichnet man deshalb eben jenen Gesamtzeitraum,
der mit dem Einbruch der Pubertät beginnend eine länger
gestreckte Phase der Entwicklung umfasst. Sie ist mit dem 18. Lebensjahr
in der Regel heute noch nicht abgeschlossen, obwohl in der klassischen
entwicklungspsychologischen Literatur das ungefähre Ende der
Adoleszenz mit etwa 17-18 Jahren angesetzt wird [22]. Verbindlich
kann man für diesen Zeitraum jedoch sagen, dass er für
den Jugendlichen eine wichtige Phase in seiner Entwicklung darstellt.
Der Jugendliche ist kein Kind mehr und legt deshalb die Sichtweise
des Kindes ab. Er sucht sich selbstgewählte Beziehungen, genauso
gut grenzt er sich auch von anderen Personen ab, und so entsteht
eine neue Einheit aus physischen(und psychischen)Erlebnis- und Selbsterfahrungen
[23].
Nach HAVIGHORST [24], aus einem Buch von 1972, liegen die Entwicklungsaufgaben
des Jugendlichen, in der Rangliste nach physiologischen und kognitiven
Entwicklungen, darin, sich emotional von den Eltern zu lösen,
emanzipierte Beziehungen zu Gleichaltrigen zu konstruieren, zukunftsorientiert
zu handeln und zu denken. Er lernt, sich sozial gewissenhaft zu
verhalten [25].
Diese Rollenerwartungen führen zu Bewältigungsprozessen
in der Entwicklung eines Jugendlichen und stehen in Wechselwirkungen
zu den Veränderungen der Jugendzeit.
In einer Phase vielfältiger Umbrüche können die
aktuellen Arten des Ausdruckes Funktionen der psychischen Verarbeitung
der veränderten personalen wie sozialen Situation übernehmen.
Die zentrale Entwicklungsaufgabe des Jugendlichen beschreibt Norbert
SCHÜTZ: „… mit sich identisch werden, denn durch
vielschichtige biologische und soziale Entwicklungen gerät
die Wahrnehmung der Identität aus dem Schwerpunkt. Der Adoleszent
ist nicht mehr mit sich in dem Maße identisch, wie dies beim
Kinde der Fall ist [26].
Es scheint so als ob die Personen die dem Jugendlichen vorher als
Bezugspersonen gedient haben, nun an Bedeutung verlieren z. B. Eltern
und Lehrer. Die Freunde in der Clique sind die ersten Ansprechpartner.
Das verlorene personale Gleichgewicht kann durch das eingebunden
sein in aktuelle Strömungen neu fundiert werden.
1.6 Identität
Der Jugendliche steht vor der Aufgabe ein
einzigartiger Erwachsener zu werden, doch die Entwicklung der menschlichen
Identität ist nicht denkbar ohne Risiken und Rückschläge.
Nach ERIKSON [27] liegt die Hauptaufgabe des Menschen im Erreichen
der eigenen Identität. Die Suche nach der eigenen Identität
ist von physiologischen Veränderungen, der sozialen Umwelt,
kognitiven Denkprozessen und der Verantwortlichkeit gegenüber
sich und der Umwelt geprägt. Identität kann dabei die
persönliche sein, wie sich der Jugendliche selbst sieht, oder
die soziale Identität wie andere ihn sehen [28].
Identität ist also eine Beziehungsleistung, die durch Imitation,
Identifikation und Vergleich mit anderen entsteht. Die Identitätsfindung
ist der Kern im Jugendalter. Mittels kognitiver Entwicklungen im
Fähigkeits- und Kenntnisbereich ist er in der Lage, ein Selbstkonzept
zu entwickeln. In der Identitätsfindung steht der Heranwachsende
durch seine soziale Umwelt unter permanenten Druck. Er steht unter
dem Zwang, sich auf geistigem, seelischem und kulturellen Gebiet
zu entfalten und erwachsen zu werden. Dennoch ist die Identität
eines Menschen, „änderbar, nie ein für allemal festgelegt,
endgültig definiert“ [29].
Die Umorientierung in der Jugendzeit wird durch Gefühlsschwankungen
und Rebellion bestimmt. In stetiger Wechselwirkung hat sie Auswirkungen
auf die soziale und psychologische Entwicklung des Heranwachsenden.
Die Solidarität der Identitätssuche schließt die
Jugendlichen in ihrer Szene zusammen [30].
[
weiter... ]
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