Graffiti Sprayer oder Schläger. Was ist ein Intensivtäter?

Interview vom ZDF durchgeführt:

ZDF.reporter

Graffiti-Sprayer oder Schläger – was ist ein Intensivtäter?

Kriminologe Prof. Dr. Sonnen im Interview

Immer wieder hört man in Zusammenhang mit Jugendkriminalität den Begriff des so genannten Intensivtäters. Doch was bedeutet er juristisch und noch wichtiger: Wie kann sich die Gesellschaft vor Intensivtätern schützen? ZDFonline interviewte den Kriminologen Professor Dr. Bernd-Rüdiger Sonnen von der Universität Hamburg.

  • Sendung vom 01.07.2010

ZDFonline: Wie definiert die Kriminologie den Begriff des Intensivtäters?

Bernd-Rüdiger Sonnen: Intensivtäter ist in der Tat kein exakt definierter Begriff. In Fachkreisen versteht man darunter wiederholt straffällig gewordene Täter. In Berlin spricht die Polizei von einem Intensivtäter, wenn dieser zehn Straftaten von einiger Schwere pro Jahr verübt.

ZDFonline: Wäre Diebstahl ein Delikt von einiger Schwere?

Sonnen: Da sind wir schon im Grenzbereich. Es müsste sich schon um einen besonders schweren Diebstahl handeln.

ZDFonline: Wie viele der begangenen Straftaten gehen zu Lasten von Intensivtätern?

Sonnen: Eine Gruppe von drei Prozent der Straftäter ist verantwortlich für 30 Prozent der Straftaten. Das ist schon beträchtlich.

ZDFonline: Wie entwickeln sich Menschen zu Intensivtätern?

Zitat

„Eine Gruppe von drei Prozent der Straftäter ist verantwortlich für 30 Prozent der Straftaten.“

Professor Bernd-Rüdiger Sonnen, Universität Hamburg

Sonnen: Es gibt Muster und Risikofaktoren. Eine Schul- oder Berufsausbildung ohne Perspektive gehören dazu, ebenso soziale oder finanzielle Notsituationen oder Gewalterfahrung als Opfer. Wer Gewalt in seiner Kindheit als Alltag und Problemlösung erlebt hat, neigt später oft selbst zur Gewaltanwendung. Fairerweise muss man aber auch sagen: Wer in den Polizeiakten bereits als Intensivtäter geführt wird, wird viel häufiger und intensiver kontrolliert. Und so öfter ertappt. Diese Person nimmt dann die Rolle als Intensivtäter an, sie wird zu seinem Selbstverständnis.

ZDFonline: Ist der Anteil von Jugendlichen unter den Intensivtätern besonders hoch?

Sonnen: Es stimmt schon, Jugendliche sind in dieser Gruppe überprozentual vertreten. Das liegt aber auch an Besonderheiten wie beispielsweise der Graffiti-Szene. Sprayer tauchen häufig als Intensivtäter in den Statistiken auf. Wer zehnmal sprayt, macht sich der Sachbeschädigung schuldig und gilt als Intensivtäter.

ZDFonline: In Anbetracht der Anzahl von Hip-Hop-Partys, die jedes Wochenende stattfinden, eigentlich keine sonderlich hohe Quote. Zudem mutet eine besprühte Mauer im Vergleich zu verprügelten Rentnern fast wie ein Kavaliersdelikt an.

Professor Dr. Bernd-Rüdiger Sonnen lehrt Kriminologie an der Universiät Hamburg. Quelle: ZDF

ZDF
Professor Sonnen

Sonnen:Könnte man meinen. Aber Sachbeschädigung gehört zu Eigentumsdelikten und ein aufgesprühtes Graffiti zu beseitigen, kann mitunter sehr teuer oder in manchen Fällen gar unmöglich sein.

ZDFonline: Wie kann sich die Gesellschaft am wirksamsten vor Intensivtätern schützen? Sie verantworten ja schließlich 30 Prozent der Straftaten.

Sonnen: Das gesamte Jugendstrafrecht ist einem einzigen, alleinigen Ziel untergeordnet: die Verhinderung einer Wiederholungstat! Das ist nicht nur der wirksamste Schutz für die Gesellschaft, sondern auch im Interesse der Opfer. Und Wiederholungstaten verhindert man – wie die Praxis gezeigt hat – durch: Hingucken, schnelle Ermittlungen und Verurteilung. Das „Erwischt werden“ hinterlässt bei Jugendlichen in der Regel einen nachhaltigen Eindruck.

ZDFonline: Das bedeutet: Mehr Polizei und härtere Strafen ergeben weniger Intensivtäter?

Sonnen: Ohne Prävention geht diese Gleichung nicht auf. Eine gewaltfreie Gesellschaft, Erziehung zum Kindeswohl in Kindergärten und Schulen sind unverzichtbar. Jugendliche brauchen Erfolgserlebnisse. Erhalten sie diese nicht im pro-sozialen Bereich, suchen sie ihre Bestätigung außerhalb der Gesellschaft, im asozialen Bereich. Ich spreche immer von einer Pyramide des Lernens: Die Basis bilden die Eltern und das soziale Umfeld, an der Spitze steht das Jugendstrafrecht. Fehler im Fundament kann das Strafrecht nicht ausgleichen – unabhängig, wie scharf es gestaltet wird.

ZDFonline: Gibt es eine konkrete Maßnahme, die besonders erfolgreich ist?

Sonnen: Ja, der Täter-Opfer-Ausgleich. Das ist empirisch eindeutig erwiesen.

Infobox

Täter-Opfer-Ausgleich:

Dabei handelt es sich um ein außergerichtliches Verfahren, das die freiwillige Teilnahme beider Seiten voraussetzt. Durch diese Kommunikation zwischen Täter und Opfer realisiert der Täter oft erst die Folgen seiner Tat, da er sich in die Rolle des Opfers einfühlen kann. Seine Hemmschwelle steigt, wodurch das Risiko einer Wiederholungstat verringert wird. Das Opfer selbst spürt die Reue des Täters und verliert Bedrohungsängste. Zudem nimmt das Opfer eine aktive Rolle ein und kann beispielsweise Schmerzensgeld einfordern.

ZDFonline: Macht es Sinn, zu differenzieren nach der Abstammung der Täter?

Sonnen: Die Abstammung von Intensivtätern in den Vordergrund zu rücken, ohne exakt differenzierte Statistiken zu haben – und die haben wir in Deutschland nicht – ist gefährlich. Dies fördert Vorurteile. Empirisch erwiesen ist, dass bei unbelasteten Familien der Migrationshintergrund kaum noch eine Rolle spielt.

ZDFonline: Und bei belasteten Familien? Bei Personen mit Migrationshintergrund und den von Ihnen genannten Risikofaktoren?

Sonnen: Da spielen kulturelle Hintergründe durchaus eine Rolle und da könnte eine seriöse Statistik auch helfen. Professor Christian Pfeiffer hat eine repräsentative Forschung im Erziehungsprozess von traditionell geprägten, türkischen Familien durchgeführt. Die dabei vermittelten Werte über Männlichkeit und die Rolle der Frau können sehr wohl zu einem Kulturkonflikt führen, wenn diese Familien in Deutschland leben. Professor Pfeiffer forschte dafür in der Türkei, um den kulturellen Hintergrund wirklich kennen zu lernen. Dieser Aufwand ist auch nötig, damit solche Statistiken ihre Aussagekraft rechtfertigen. Die Frage nach der Abstammung ist legitim, sofern sie differenziert gestellt wird. Aber bitte, erwarten Sie keine einfachen, plakativen Antworten!

ZDFonline: Keine Sorge, wir tun das nicht. Vielen Dank für das Interview.

von Dara Hassanzadeh
Mit Material von ZDF

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