Positionspapier des KVOKJA aus 2016
Textausschnitte des KVOKJA aus der deutschen Jugend (2016). Im Fahrwasser einer Vorbereitung habe ich diese präzise und lesenswerte kurze Stellungnahme des KVOKJA, zu den aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen der Offenen Kinder-und Jugendarbeit wiederentdeckt.
Stellungnahme:
Am 4. März 2016 hat sich im Rahmen eines Arbeitstreffen von Vertreter_innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit aus Hochschule und Praxis der „Kooperationsverbund Offene Kinder- und Jugendarbeit“ gegründet. Aus Sicht der Gründungsmitglieder steht die Offene Kinder- und Jugendarbeit vor großen fachlichen und politischen Herausforderungen, die eine bundesweite Debatte und einen fachlichen Austausch zwischen Wissenschaft, Ausbildung, Praxis und Politik erfordern. Insofern sind Ziele des Kooperationsverbundes die Schaffung einer bundesweiten Plattform für die Auseinandersetzung, die Diskussion und Weiterentwicklung des Feldes und eine bessere Sichtbarkeit, Darstellung und Vertretung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere auf Bundesebene.
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Der Kooperationsverbund ist offen für alle, die sich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit verbunden fühlen. (……)
Welche Herausforderungen stellen sich? Kinder- und Jugendhilfe und mit ihr die Offene Kinder- und Jugendarbeit orientiert sich zunehmend an einem Funktionieren von Kindern und Jugendlichen in den zentralen Regelsystemen Schule und Arbeitsmarkt und folgt da-mit auch verstärkt den Ziel- und Problemdefinitionen dieser Regelsysteme. Damit einher geht ein verstärkter Defizitblick auf Jugendliche, wie er sich z.B. in der Rede von den sogenannten ausbildungsunreifen oder bildungsfernen Jugendlichen widerspiegelt. (Schwanenflügel u. Walther 2015).
Dies zeigt sich in unterschiedlichen Entwicklungen: Offene Kinder- und Jugendarbeit als eine Infrastruktur für alle Jugendlichen, wie sie im Kinder- und Jugendhilfegesetz angelegt ist, befindet sich im Prozess einer schleichenden Ausdünnung: Zwischen 2002 und 2010 hat es einen klaren Rückgang im Bereich der personellen und finanziellen Ausstattung von Jugendarbeit gegeben, der sich 2010 konsolidiert, aber keine Trendwende eingeläutet hat (Pothmann 2012). Auch Strukturen, die Offene Kinder- und Jugendarbeit rahmen und absichern werden abgebaut: Vielerorts wird keine Jugendhilfeplanung mehr gemacht und Landesjugendämter und deren Fachberatungen aufgelöst (Lindner 2011). Dem steht ein Personal- und Mittelzuwachs im Bereich der (schul- und ausbildungsbezogenen) Jugendsozialarbeit, der Frühen Hilfen und Hilfen zur Erziehung gegenüber. Mit dieser Verschiebung innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe ist gleichzeitig eine inhaltliche Verschiebung verbunden, ein Abbau von offenen und ein Ausbau von schul- und arbeitsmarktbezogenen Angeboten. So soll z.B. eine immer früher einsetzende Berufsorientierung einschließlich non-formaler Kompetenzfeststellungsverfahren den Übergang in Ausbildung und Beruf optimieren. Im Bereich frühkindlicher Erziehung soll über Sprachtests und Bildungsdokumentation möglichst früh und optimal auf Schule vorbereitet werden (Olk 2009). Dieser inhaltliche Umbau zeigt sich auch in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit: Mittagspausenbetreuung, Hausaufgabenhilfe und Bewerbungsunterstützung scheinen sich zu einem zentralen, zeit- und personalintensiven Standardangebot zu entwickeln und immer größeren Raum einzunehmen. Im Kontext der Ganztagsschulentwicklung werden Angebote der Kinder- und Jugendarbeit zunehmend auch an die Schule verlagert. Die Gefahr im Kontext von Schule mehr und mehr zu einem Ort zu werden, der vor allen Dingen Schule entlasten, ‚Schulfähigkeit‘ herstellen oder auch einfach nur den Schulbetrieb sichern soll, ist durchaus gegeben (vgl. Zipperle 2015). Offene Kinder- und Jugendarbeit erhält also mehr und mehr eine sozialpolitische Feuerwehrfunktion zurück, die sie in den 70er bis 90er Jah-ren erfolgreich zurückgewiesen hat.
Gerahmt wird dies durch einen Fachdiskurs, welcher mit Begrifflichkeiten wie non-formaler im Unterschied zu formaler Bildung einen ganzheitlichen, lebensweltlichen Bildungsanspruch in Abgrenzung zu Schule zu formulieren sucht (BMFSFJ 2005), der damit gleichzeitig auf Schule bezogen bleibt. Das vorrangige Ziel einer Kinder- und Jugendhilfe, ‚andere‘ lebenslaufrelevante Kompetenzen zu vermitteln und über andere, alternative Bildungszugänge die Leistungsfähigkeit und Motivation so genannten benachteiligter Ju-gendlicher zu steigern, bleibt vorrangig dem Ziel einer Unterstützung und Ergänzung schu-lischer und arbeitsmarktorientierter Bildung verhaftet (Schwanenflügel u. Walther 2015).
Die hier skizzierte Entwicklung hat zum einen etwas mit einer zunehmenden neoliberalen Indienstnahme von Kinder- und Jugendhilfe insgesamt zu tun, in der (auch) „Jugendarbeit als Instrument der Sozialpolitik, der Sicherheitspolitik und einer auf Humankapitaloptimierung ausgerichteten Bildungspolitik beansprucht wird“ (ebd., S. 370). Sie hat auch etwas mit mangelnder Sichtbarkeit und Anerkennung der Leistungen von Jugendarbeit auf politischer Ebene zu tun. Sowohl bei bundesweiten Veranstaltungen als auch in den zentralen Bundesgremien ist sie bislang nicht entsprechend ihrer Bedeutung und Größe oder nur indirekt vertreten. Deutlich ist aber auch: vor allem die inhaltlichen Veränderungen „gesch[ehen] nicht nur ohne einflussreiche Gegenwehr der Fachkräfte, sondern auch unter ihrer Mitwirkung“ (ebd.). Beispielsweise dort, wo Kinder- und Jugendarbeit auf die Frage nach ihren Bildungspotentialen Angebote aufführt, in denen lebenslaufrelevante Kompetenzen erworben werden, die Jugendliche in den Wettbewerb um Ausbildungsplätze einbringen können. Oder dort, wo immer mehr Jugendliche nach Unterstützung bei Haus-aufgaben, Referaten und Bewerbungen im Betrieb OKJA fragen, um mit den Anforderun-gen am Lebensort Schule zurechtzukommen und diese zu einem festen Bestandteil wird, den sich Einrichtungen als Beitrag ihrer Arbeit auf die Fahnen schreiben, der dann aber auch von den Kommunen eingefordert wird.
Die Frage, die sich stellt ist, ob das die Richtung ist, die Kinder- und Jugendarbeit einschlagen will? Und ob der fachliche Anspruch eines Sozialisationsortes für alle Kinder- und Jugendlichen, als Raum für soziales Lernen und Experimentieren, in dem die Erfahrungen, Bedürfnisse und Interessen von Jugendlichen leitend sind, angesichts gesellschaftlicher Veränderungen, obsolet geworden ist? Als ein Raum, welcher von Freiwilligkeit und Offenheit, Fehlerfreundlichkeit und der Anerkennung von Eigensinn geprägt ist, der durch-aus „in Kritik und Distanz zu einer politischen Aufgabenzuweisung steht, die Jugendliche als potentielle Störer der sozialen Ordnung in der Blick nimmt, auf die mit sozialer Kon-trolle und Erziehung zur Anpassung reagiert werden soll“ (Scherr u. Sturzenhecker 2014, S. 369). Ist der Anspruch Jugendliche vor allem bei der „Kultivierung ihre Eigensinns, bei der Realisierung und Entwicklung von Entwürfe eines guten eigenen Lebens und von Vorstellungen für eine erstrebenswerte Gesellschaft“ (ebd., S. 370) zu unterstützen und zu begleiten und in diesem Sinne als Lernort der Demokratie (Schwerthelm u. Sturzenhecker 2015) zu verstehen nicht mehr zeitgemäß? Und falls doch: wie kann er politisch und fachlich verteidigt werden?
Die Verständigung darüber, was der bestmögliche Beitrag ist, den Offene Kinder- und Jugendarbeit zu einem gesunden und glücklichen Aufwachsen junger Menschen in einer sich wandelnden, demokratischen Gesellschaft beitragen kann ist überfällig. Der Kooperationsverbund könnte ein solcher Ort dafür sein.
Hier der Link auf den Originaltext : http://kvokja.chayns.net/tapp/index/91958?M=46724377
Hier der Link auf die aktuellen Themen und Informationen des KVOKJA: http://kvokja.chayns.net/tapp/index/91958
Inhaltlich decken sich diese fachlichen Aussagen, mit der Gründungsmotivation unseres Kölner Stammtisch für Jugendarbeit. Link: http://www.maurizone.de/?p=1137
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