Graffiti Magazine #19 vs. Masterthesis Hard to Buff Diskursanalyse der Ausgaben des „Graffiti Magazine“ in Hinblick auf die Darstellung kultureller Identität von Graffiti Writern
28. Dezember 2014, Maurice Kusber
Nach langer Zeit geht das Graffiti Magazine in die nächste Ausgabe: Das GRAFFITI MAGAZINE mit der Ausgabe 19 / Winter 2014. 64 Seiten. Zum Inhalt: FYA, Dortmund Oldschool, KJ263, ein Freight Spezial, SCREW, Sergei Kravinoff und einiges mehr.
Diesen Anlass greife ich gerne auf und stelle bei Interesse, meine Masterthesis auf Anfrage zu wissenschaftlichen Zwecken bereit. Das Graffiti Magazine war/ist der Forschungsgegenstand meiner Masterthesis mit dem Titel „Hard to Buff. Diskursanalyse der Ausgaben des „Graffiti Magazine“ in Hinblick auf die Darstellung kultureller Identität von Graffiti Writern“ gewesen.
Hier eine Preview der Arbeit:
Bereits in der frühen Kulturgeschichte der Menschheit entwickelte sich die kulturelle Praxis des Anbringens von Inschriften in Form von Höhlenzeichnungen. Über die Jahrhunderte hinweg zeigte sich diese Ausdrucksform, analog zum (technologischen) Fortschritt, in Form von Schmähinschriften z. B. auf den Häuserwänden Pompeis und entwickelte sich hin zu modernen Varianten in Form der Bemalung bzw. Beschriftung von Mauern, Wänden,Zügen und anderen Flächen beispielsweise mit Marker-Stiften oder Sprühdosen. Die beschriebenen Formen subkultureller Inschriften werden heute unter dem Begriff Graffiti zusammengefasst (vgl. Kreuzer 1986, S. 128). Die Darstellungen sind dabei als vielfältige Botschaft zu verstehen: Neben der bloßen Bekundung der Existenz des Urhebers, bestehen darüber hinaus direkte und indirekte Botschaften an einzelne Personen oder Personengruppen bis hin zu Botschaften an die Gesellschaft (vgl. Schütz 1993). Diese kommunikativenBotschaften lassen sich als soziale Interaktion abstrahieren. Die Voraussetzung für soziale Interaktion, als wechselseitiger Prozess zwischen (sozialer) Umwelt und Individuum, aber gleichermaßen auch das Produkt dieser, wird mit dem Begriff der Identität beschrieben (vgl. Simon & Trötschel 2007). Identität wird dabei einerseits als das Wissen über individuelle Eigenschaften und Eigenheiten (individuelle Identität) und im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen (soziale Identität) beschreiben (vgl. Bierhoff 2011). Die Identität ist insofern unter anderem als bedeutsames Konzept bei der Erstellung von Graffiti zu verstehen (vgl. Macdonald 2001). Neben den beiden genanntenIdentitätskonstrukten der individuellen und sozialen Identität, die das Individuum als Träger der Identität beschreiben, bezeichnet die kulturelle Identität die kollektive Identität einer Gruppe, eines Milieus oder einer (Sub)kultur. Kulturelle Identitäten „reflektieren (…) die gemeinsamen historischen Erfahrungen und die gemeinsam genutzten kulturellen Codes (…) die uns (…) unabhängig von den sich verändernden Spaltungen und Wechselfällen (…) einen stabilen, gleichbleibenden und dauerhaften Referenz- und Bedeutungsrahmen zur Verfügung stellen“ (Hall 1994, S. 27). Kulturelle Identitäten lassen sich also zwar als Orientierungsrahmen beschreiben, unterliegen aber aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren im Sinne der Subjekte, einem permanenten Wandel durch kollektiven Diskurs. In Bezug auf die Graffiti Szene lässt sich die kulturelle Identität von Graffiti Writern als eingebettet in den historischen Entstehungskontext und die weitere Entwicklung der Graffiti Kultur sehen. Die verbreitetste Form des modernen Graffiti ist das American bzw. New York Style Graffiti (Reinecke 2012, S. 29) das in den frühen Siebziger Jahren in New York seinen Ursprung hatte. Dort entstand in dieser Periode die Graffiti Kultur, die sich in ihrer Auslebung verschiedener Formen, Stile und Regeln in Bezug auf die Art der Anbringung, der Größe, der verwendeten Materialien und weiterem bedient (vgl. Castleman 1997, S. 20-51). Darunter fallen kurze Namenssignaturen, die mit Sprühdose oder Markern angebracht werden, sowie großflächige Buchstaben und Bildkompositionen die mit Sprühdosen aufgetragen werden. Diese Namenssignaturen nennen sich in der Szenedefinition „Tags“ und werden ungefragt und illegal angebracht. Laut Castleman (vgl.1997, S. 19-20) geht es Writern dieses Stils um „Getting up“ und „Fame“, das heißt um die Szeneinterne Anerkennung der eigenen Leistung und dem Ansteigen des Ansehens innerhalb der Szene. Diese Ziele werden in der aktuellen Literatur als die immer noch vorherrschenden Elemente dieser Kultur beschrieben (vgl. Reinecke 2012, S. 31). In Bezug auf die vorliegende Arbeit liegt hier ein elementarer Aspekt insofern, als das Erlangen von Popularität und Respekt durch die Entwicklung und Präsentation eines besonderen Stiles für die kulturelle Identität des Kollektivs (der Writer) bedeutet, dass einzelne Writer die Identität zu einem größeren Teil mitgestalten als andere. Voraussetzung dafür ist allerdings eine möglichst szenenweite Repräsentation bzw. Verbreitung des Stiles durch Bildmaterial. Die Ausgestaltung der kulturellen Identität einer Szene, die durch Typografien (Meier 2007) repräsentiert wird, durch Subjekte dieser, ist insbesondere von dem Grad der Verbreitung einzelner Typografien abhängig. Vor allem dann, wenn es sich um eine international und im Falle der Graffiti Szene zudem noch eher untergründig agierende Szene handelt. Dazu kommt die Besonderheit der Bewertungskriterien für gute Stiles bzw. die Grundlage für das Erlangen von Fame: ein eigener, möglichst einzigartiger Style, exklusive Plätze (z. B. Häuserdächer, Züge etc.) und der Grad der Illegalität (desto mehr,desto besser). Die Verbreitung und folglich Bewertung entsprechender Pieces kann aufgrund der Ortsgebundenheit der Pieces (mit Ausnahme der Züge [s. Kapitel 2.2]) nur medial stattfinden. Gleiches gilt für eine wissenschaftliche Analyse.
Im Rahmen der vorliegendenArbeit wird dieser Gedankengang aufgegriffen. Das Forschungsinteresse liegt in der kulturellen Identität bzw. der Darstellung dieser. Als Medium bieten sich Graffiti-Magazine an, da sie selbst historisch gewachsen – zumindest vor der weltweiten Verbreitung des Internets – das Hauptverbreitungsmedium für Styles und Pieces waren. Der Grund dafür, trotz der mittlerweile großen Verbreitung von Pieces über das Internet ist, dass die Magazine eine bestimmte, konstante, weniger beliebige Selektion und somit auch greifbaren, geschlossenen Diskurs darstellen. Darüber Hinaus stellt die Darstellung der gesprühten Signatur in diesen Medien für die Writer oftmals die einzige Möglichkeit dar ihre Graffiti Bilder zu präsentieren, da die Entfernung der Bilder auf Wänden und insbesondere auf Zügen ausgehend von den ersten Antigraffiti- und Reinigungsmaßnahmen der Achtziger Jahre in New York, auch in Deutschland, vor allem im Fall von Unternehmen oder Institutionen, zeitnah durch die Eigentümer erfolgt. Der Hintergrund dieser Null Toleranz Politik entspringt vermutlich pädagogischen Überlegungen in Bezug auf die mögliche positive Verstärkung der Writer, im lerntheoretischen Sinne (vgl. Hartung 2010), im Falle der öffentlichen Präsentation ihrer Pieces. Gerade aufgrund dieser sich zunehmend verschärfenden Ordnungspolitik (vgl. Wehrheim 2002), gewannen Graffiti Magazine vor der massenhaften Verbreitung des Internets zunehmend an Bedeutung und repräsentieren inhaltlich einen szeneinternen Diskurs und transportieren in diesem Sinne auch kulturelle Identität.
Der Fokus dieser Arbeit richtet sich daher auf die qualitative Analyse von Darstellungen, Texten und Graffiti Bildern innerhalb eines im Lokalraum Rhein-Ruhr vertriebenen Szenemagazines mit dem Namen „Graffiti Magazine“. Die Darstellungen innerhalb der achtzehn Ausgaben des „Graffiti Magazine4“ befassen sich vordergründig textlich und visuell mit dem Eingangs erwähnten American bzw. New York Style Graffiti .Die Ausgaben sind im Zeitraum vom Winter 2005 bis Juli 2012 erschienen. In den Magazinen werden Graffiti Bilder, Berichte und Reportagen zum Thema Graffiti, Berichte über einzelne Graffiti Writer und Graffiti Crews5, sowie Texte in essayistischer Form dargestellt. Gast-Autoren und Redakteure sowie Szeneaktivisten schreiben Artikel und verfassen Berichte innerhalb der Ausgaben. Die Darstellungen in den Magazinen sind als Medien für Zuschreibungsprozesse im Bereich der kulturellen Identität von Writern zu verstehen. Die Authentizität des Dargestellten ist hoch, die Informationen sind von der Szene für die Szene, sie stellen soziales Handeln dar. Die Gruppe der Writer wird in diesem Zusammenhang mit Fremdzuschreibungen und Legenden über die eigene Historie konfrontiert. In den Magazinen wird eine soziale Wirklichkeit konstruiert, die von den Rezipienten interpretiert wird; die Erfahrungen von Erlebtem und von Zuschreibungen wirken sich so auf die „gegenwärtige soziale Wirklichkeit und ihre alltäglichen Handlungspraxen und ihre Selbstpräsentationen aus“ (Keller 2013, S. 262).
Zusammengefasst entsteht die Bedeutung von Graffiti für die Writer durch die Zuschreibungen, die Graffiti Szeneintern und Szeneextern erhält. Die Magazine ermöglichen so eine Analyse der Darstellung der kulturellen Identität von Writern über einen geschlossenen Zeitrahmen. Der so gegebene Zugang zum Feld ermöglicht die „Welt“ des Graffiti aus Sicht der Handelnden zu erfassen und die Diskurse zu verstehen, die möglicherweise einen Einfluss auf die Entwicklung und Darstellung der kulturellen Identität von Writern haben.
Der gewählte Forschungsgegenstand in Gestalt von Graffiti Magazinen ermöglicht durch die wissenssoziologische Diskursanalyse eine genaue Betrachtung. In der vorliegenden Arbeit wird versucht im Rahmen sozialwissenschaftlicher Forschung menschliches Verhalten in natürlichen Situationen zu verstehen und zu erklären. Das neu gewonnene theoretische Wissen soll die Ursachen des Wandels menschlichen Handelns anhand valider Daten nachvollziehbar erklären. Die bisherigen Zugänge Sozialer Arbeit zu dieser Zielgruppe resultieren primär aus den Erfahrungen szenespezifischer Jugendkulturarbeit (Kusber / Renken / Müller 2013, S. 309-320). Für die Relevanz Sozialer Arbeit als praxisnahe Wissenschaft der selbigen, stellt die vorliegende Arbeit neben den bereits publizierten empirischen Untersuchungenz. B. zu Raumkonzepten von Writern (Schneider 2012), einen weiteren fundierten Zugang zu dieser Zielgruppe dar. Für die Praxis Sozialer Arbeit bedeuten diese Erkenntnisse einen theoretischen Zugang zur Lebenswelt von Jugendlichen um Wandlungsprozesse nachzuvollziehen und um methodisch auf die Veränderung der selbigen im Sinne einer professionellen Hilfe zur Lebensbewältigung (Böhnisch 2012) reagieren zu können. Soziale Arbeit kann so auf Probleme reagieren, die Jugendliche: „… bei der Entfaltung von Individualität und Identität und der sozialen Integration in die verschiedenen Bereich der Gesellschaft haben“ (vgl. Hurrelmann 2012). Szenemagazinen spiegeln unter anderem die Wahrnehmung illegaler Graffiti wider. Diese sind rückgebunden an die sie rahmenden sozialen, historischen, technischen, kulturellen, medialen und vor allem auch urbanen Kontexte, die sie hervorbringen, sowie die Lebensweisen, Einstellungen und Motivation der Szenegänger des American Graffiti (vgl. Schierz im Erscheinen, S. 7). Dies tellt die Begründung für den gewählten Forschungszugang über Bilder, Texte und Interviews in Graffiti Magazinen dar. Die qualitative Sozialforschung zielt darauf ab alltägliches Handeln in seiner Komplexität zu verstehen und Entwicklungs- und Entstehungsprozesse vor dem Hintergrund der „historischen Entfaltung, Stabilisierung und Veränderung von Diskursen und deren Machteffekten“(Keller 2013, S. 44) zu rekonstruieren. American Graffiti, dargestellt in Szene Magazinen funktioniert in diesem Fall als ein Prozess der Identitätsbildung (vgl. Schnoor 2007, S. 211) und gleichzeitig als Distinktionsrahmen (vgl. Diaz-Bone 2011). Der thematische Gegenstand der Magazine hat eine tiefe Bedeutung und sinnstiftenden Gehalt für den Lebensstil. Die Einbindung der Magazine in die Lebensführung steht für eine diskursiv gewinnbringende Einbindung des Mediums in die Lebensführung (vgl. Diaz-Bone 2011, S. 201). Die Entscheidung das Thema Graffiti als diskursives Feld im Rahmen des Forschungsvorhabens zu definieren, ermöglicht im Verlaufe der Arbeit die Entstehung und Analyse zu Aussagen der kulturellen Identität und der in diesem Feld herrschenden Diskurse herzustellen. Zur systematischen Analyse wird im Rahmen dieser Arbeit die Methode der Grounded Theory angewandt. Sie ist ein wissenschaftstheoretisch in der Hermeneutik begründeter Forschungsstil und umfasst mehrere Einzeltechniken mit deren Hilfe schrittweise in Daten begründete Theorien entwickelt werden können. Die theoretische Grundlage der Grounded Theory ist der Symbolische Interaktionismus (Mead 1968). Diese Herkunft findet ihren Niederschlag in der grundlegenden Annahme, dass im Mittelpunkt der Sozialforschung menschliches Handeln und menschliche Interaktionen stehen und dass Handeln und Interaktion nicht durch physikalische Umweltreize, sondern durch symbolvermittelte Interpretationen bestimmt werden. Auf der Grundlage empirischer Daten, meist qualitativer Daten geht es darum aus dem vorgegebenen Datenkorpus strategisch eine Theorie zu entdecken. Die methodologischen Überlegungen anhand des Gegenstandes – den Magazinen – schließen die Vorüberlegungen.
Zur genauen Nachzeichnung der hier dargestellten theoretischen Skizze, wird im Folgenden zunächst die Entstehungsgeschichte des American Graffiti gezeigt, um den kulturellen Ursprung und die schon früh einsetzende Interaktion von Graffiti Szene und Ordnungspolitik und deren tiefgreifende Folgen für die kulturelle Identität zu nachvollziehen zu können. Eine differenzierte Betrachtung der Geschichte der Graffiti Szene vor dem Hintergrund identitätstheoretischer Überlegungen wird nachfolgend durch die theoretischenDarstellungen ermöglicht.