Legale Graffiti in München „Eine Win-win-Situation für alle“
22. November 2010, Maurice Kusber
Legale Graffiti in München „Eine Win-win-Situation für alle“
Interview: Isabel Meixner
Früher besprühte er verbotenerweise Unterführungen, heute macht er das ganz legal: der Sozialpädagoge Stefan Penn über staatlich gefördertes Sprayen.
In Freimann, Garching und Milbertshofen haben Künstler der Graffiti-Vereinigung „Writers Corner München“ Wände besprüht – ganz legal. An diesem Wochenende ist eine Fahrradunterführung in Fürstenried dran. Der Sozialpädagoge Stefan Penn (41) ist der Vorsitzende der Vereinigung.
Stefan Penn Writers Corner München Bild vergrößern
Stefan Penn ist der Vorsitzende der Graffiti-Vereinigung „Writers Corner München“. Der amerikanische Film „Wild Style“ animierte ihn dazu, selber zu sprayen. (© Penn)
sueddeutsche.de: Herr Penn, am Wochenende haben Sie die Fahrradunterführung an der Neurieder Straße in Fürstenried mit Graffiti angemalt. Haben Sie Besuch von der Polizei gekriegt?
Stefan Penn: Wir haben der Polizei und dem Kreisverwaltungsreferat vorher sogar Bescheid gegeben. Es handelt sich um ein legales Graffiti, das die Stadt unterstützt.
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sueddeutsche.de: Warum macht sie das?
Penn: Für Jugendliche muss es kreativen Spielraum geben, einen Ort, an dem sie sich künstlerisch entfalten können. Unsere Idee ist es, dass wir dunkle, unansehnliche Unterführungen mit bunten Bildern gestalten. Die Stadt fand das Konzept gut.
sueddeutsche.de: So gut, dass sie Ihre Arbeit auch finanziell unterstützt?
Penn: Für die Gestaltung der Unterführung in Fürstenried erhalten wir kein Geld, im Gegenteil: Die Farbe bezahlen wir aus der eigenen Tasche. Die Stadt stellt uns lediglich die Fläche zur Verfügung. Andere Projekte, bei denen die Fläche und damit die Kosten für die Farbe zu groß wären, unterstützt sie auch finanziell. Für beide Seiten ist das eine Win-Win-Situation: Die Jugendlichen haben einen Platz, an dem sie ihrem Hobby nachgehen können, und die Stadt hat weniger Unkosten, denn die Renovierung der verschmierten Unterführung würde sie viel Geld kosten.
sueddeutsche.de: Wie kamen Sie dazu, in Ihrer Freizeit Fahrradunterführungen zu besprühen?
Penn: Ich habe vor 25 Jahren den amerikanischen Film „Wild Style“ gesehen, der die Geschichte eines Graffiti-Künstlers erzählt. Der hat mich wahnsinnig gepackt. Also habe ich die Sprühdosen meines Vaters, die er für sein Auto gekauft hatte, genommen und bin zu einer Straßenunterführung gegangen. Dort habe mein erstes Bild gemalt.
sueddeutsche.de: Nicht legal, oder?
Penn: Ja, das war illegal. Einmal wurde ich auch erwischt und musste Sozialstunden leisten und Schadenersatz in Höhe von 30.000 Euro zahlen. Als ich vor meinem Sozialpädagogikstudium eine Ausbildung zum Maler und Lackierer gemacht habe, ging ein Großteil meines Gehalts in Raten an die Bundesbahn. (lacht) Manche kaufen sich mit 18 ein Auto, ich habe S-Bahnen bemalt und musste dafür zahlen.
sueddeutsche.de: Jetzt unterstützt Sie die Stadt bei Ihren Sprühaktionen. Sind diese nicht eine genauso große Verschandelung wie das verbotene Graffiti?
Penn: Beim illegalen Graffiti liegt der Schwerpunkt mehr auf der Quantität. Ein Bild muss schnell fertig werden, weil zum Beispiel S-Bahn-Stationen überwacht werden oder an Unterführungen Personen vorbeigehen, die die Polizei rufen. Beim legalen Sprühen steht die Qualität im Vordergrund: Es wird viel sauberer gearbeitet und man kann sich viel mehr den Details und Themen widmen.
sueddeutsche.de: Sehen dies die Passanten genauso?
Penn: Viele Passanten bleiben stehen und sind begeistert. Manche haben am Wochenende sogar Kaffee vorbeigebracht oder Geld da gelassen, damit sich die Jungs Brotzeit kaufen können. Sie sind froh, wenn das Siebziger-Jahre-Grau oder rechtsradikale Parolen in den Unterführungen übermalt werden.
sueddeutsche.de: Welche Motive werden gesprayt?
Penn: Welches Thema behandelt wird, entscheidet die Gruppe. Von der Stadt gibt es ein paar Auflagen, etwa, dass wir nichts Gewaltverherrlichendes oder Pornografisches darstellen dürfen. Die Tunnelseite, die bereits fertig ist, stellt das Thema „Zeitmaschine“ mit Kuckucksuhren und Schriftzügen dar. Gegenüber haben wir in großen Lettern „Make some Noise“ geschrieben – das Bild wird kommendes Wochenende fertig. Wir wollen dadurch die Bürger ermuntern, nicht alles stillschweigend hinzunehmen, sondern auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen – so wie bei Stuttgart 21. Allerdings soll Protest nicht aggressiv sein; deshalb gestalten wir das Bild ruhig.
sueddeutsche.de: Im Winter sprühen Sie nicht. Gibt es schon Projekte für kommendes Jahr?
Legale Graffiti in München Sprayen für die Kreativität!
Penn: Es sind zwei, drei Unterführungen in München im Gespräch. Das ist noch nicht in trockenen Tüchern. Aber sicher ist: Es geht weiter.
Link: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/kultur/legale-graffiti-in-muenchen-eine-win-win-situation-fuer-alle-1.1024398